Samstag, 4. Februar 2012

Konstanz, kurz vor 16.38. Während der Zug bereits stand, es war eine dieser doppelstöckigen Schwarzwaldbahnen, die nur für Außenstehende eine unglaublich schöne Strecke fahren müssen, die für mich jedoch nur Tunnel nach Tunnel durchquerte, (wahrscheinlich auch diejenigen in meinem Kopf, sicher war ich mir da noch nicht) - während dieser Zug bereits stand, zog ich die letzten panischen Male an der Zigarette, mein Magen grummelte und ich dachte mir, ich wäre ein verdammter Idiot mit meinem Rucksack auf dem Rücken, dem Pappbecher in der Hand und  den vielen Erwartungen im Kopf.

Der Zug setzte sich in Bewegung und die vielen bekannten Ortsnamen die vorbeizogen schienen fremd geworden zu sein. Ich fuhr nicht durch sie durch, ich war schon längst nicht mehr dort, deswegen konnte ich sie nicht erkennen.

Ankunft Karlsruhe, Aufenthalt 34 min, Gleis 9 auf Gleis 3. 6 Gleise dazwischen die meine
bestehenden Zweifel belachen konnten. Das grüne Café hatte einen neuen Pappbecher für mich und ich grade noch Zeit die letzten Minuten im bekannten Karlsruhe zwischen den Linien zu stehen. Eigentlich balancierte ich auf der Linie, weil ich sehen wollte ob ich runterfallen würde. Ich tat es nicht oder merkte es nicht. Ich stieg ein und fand mein Bett und wusste, dass dieses gemächliche Rattern des Zuges bald zu einem Teil von mir werden würde. Ein kontinuierliches Rattern, dass meine Moleküle lösen würde und sie neu zusammensetzen würde, nie wieder vergleichbar mit vorher, kein Weg mehr zurück, one-way-ticket to... ja, wohin eigentlich? Spann die Pferde an Baby, wir reiten nach Russland? Wow. Mutig.

Rattern immer nur rattern. An Berlin vorbeigerattert, nach Polen reingerattert, „Dead Flag Blue“s in meinen Ohren, Rauch in meinen Lungen, ein böser Blick des Schaffners in meinem Rücken. Es war mir egal.



Die Anspannung war gewichen, eine Bewegung hatte sich eingestellt, noch vage, so dass ich froh war, dass der Zug sie für mich übernahm. Warschau-Wasteland im Zeitplan, nicht mein Ziel, ein paar Blicke auf den Beton des Bahnhofes mussten reichen, da setzte der Zug sich wieder in Bewegung.11 Uhr, 4 Uhr, 9Uhr. Minsk. Smolensk, Moskva Belorusskaja. 


Ein weiter Weg vom weissrussischen Bahnhof um den Osten zu beherrschen, Wladiwostok  war mein Ziel. Verdammte 9288 km noch vor mir, 9288 km während denen ich drüber nachdenken konnte, warum ich in diesem Zug saß.

Mir wurde bewusst, dass ich nicht in diesem Zug saß um eine Distanz herzustellen, sondern um eine Distanz zu verringern. Irgendwann hatte ich begonnen Grenzen einzuziehen, Zonen zu benennen, Mauern zu errichten. Ich konnte zwar weiterhin innerhalb dieser Mauern sein, doch stieß ich mir den Kopf wenn ich begann zu rennen. Deswegen saß ich, schon seit Jahren, meine Muskeln beschwerten sich, wenn ich einen Schritt machen wollte und ich rollte mich wieder zurück auf die Wiese meines geistigen Schlosses. Ein schöner Ort, keine Frage. Ein großes altes Schloss in einem entrückten Winkel meines Bewusstseins. Ruhig, Vollkommen, sogar eine Bibliothek hatte ich, nur die Bücher gingen mir langsam aus. So war ich aufgebrochen den Osten zu beherrschen, wenn ich nicht in diesem Schloss zu Grunde gehen wollte.

Russische Steppe zog an mir vorbei. Birkenwald um Birkenwald. Was ich tat,war banal. Es war nichts, aber ich sträubte mich nicht dagegen. Das rattern war zu einem Schaukeln geworden, die Fremden zu Begleitern. Wir tranken Tee und lächelten, es gab eigentlich nicht viel zu sagen.

Perm, Novosibirsk. Orte, die einst so fern und unerreicht schienen waren da. Ich fuhr durch sie durch, ich konnte sie sehen und den Frauen an den Bahnsteigen ein Stück Perm abkaufen um es mit mir zu führen und reinzubeißen, wenn ich Lust auf einen Apfel hatte.
Wir trafen uns immer wieder auf dem Gang, beim offenen Zugfenster, immer die gleichen Leute, die sehnsüchtig in die Ferne blickten.

Ich begann eine Ahnung zu bekommen, von diesem Gefühl das Endlosigkeit hieß. Noch endete meine Endlichkeit an der Zugtür, aber ich wusste, der Zug bewegte sich, ich würde aussteigen. Bald.

Irkutsk, Ulan Ude. Die Gesichter wurden fremder, die Steppen länger., ich gewöhnte mich an dieses Gefühl. Vor einigen Wochen verstand ich es nicht, ich glaube, ich verstehe es auch Heute nicht ganz, aber es hat etwas von seiner Befremdlichkeit verloren. Wäre ich sonst hier?Die Nächte waren lang und zogen Schlieren, bis ich verstand, dass ich einfach nur das Licht im Abteil löschen musste um raus sehen zu können.
Belogorsk. Ein Tag trennte mich noch, vielmehr eine ganze Nacht die ich in kompletter Dunkelheit verbrachte im leise schaukelnden Wagen und verstand, dass ich noch da war, mitten in den borealen Wäldern und ich lief.

Wladiwostok, 23.33 Ich kam in kompletter Dunkelheit an, ich roch das Meer. Es roch weit.
„In my head there is a Greyhound Station“ sangen Death Cab for Cutie einst, ich erwidere 
„ Nicht nur, in meinem Kopf ist alles. Nach Tagen, die ich nicht mehr in Tagen zählte, stieg ich aus dem Zug. Endstation. Ich stehe an Kilometer 9288.
  
Was ist also Wladiwostok für mich? Ich glaube, es war unglaublich entfernt und eigentlich schon immer ganz nah gewesen. Es war äußerlich trostlos und besaß diese Plattenbautristesse mit Pfützen, in denen alte Tüten schwammen. Es rostete und am Bahnhof blätterte die Farbe von den Bänken. Hellblau. An der Ecke gab es jedoch diese alte Frau mit der besten Brezel, die ich je gegessen hatte
und sie wollte nur 2 Pfennige von mir und lächelte mich dabei an. Volkov bojatjsja - v les ne hoditj flüsterte sie. „Die Wölfe fürchten, heißt nicht in den Wald zu gehen“. Ich nickte, lächelte und machte mich auf den Weg über die Brücke, während die Möwen krächzten. Denn sein wir ehrlich, die Welt hört nicht hinter Wladiwostok auf.





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